Armutsentwicklung in Deutschland: Eine kritische Analyse der sozialen Spaltung

Von Susan Bonath

In Deutschland bleibt die soziale Kluft ein ernstes und andauerndes Problem. Trotz ausführlicher Diskussionen von Seiten der SPD und der Grünen, wie dieser Zustand zu überwinden sei – oft mit der zugrundeliegenden Annahme, dass Arme selbst für ihre Situation verantwortlich seien, anstatt strukturelle gesellschaftliche Probleme zu adressieren – hat sich die Lage nicht verbessert. Weder die unter dem Schlagwort “Fordern und Fördern” geführte Hartz IV-Politik noch wohlklingende Gesetzestitel konnten das Armutsproblem in Deutschland lösen.

Laut einer aktuellen Auswertung des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, die sich auf Daten des Statistischen Bundesamtes von 2023 stützt, leben immer noch über 14 Millionen Menschen in Deutschland in Armut. Davon sind mehr als jedes fünfte Kind und fast die Hälfte aller Alleinerziehenden betroffen. Außerdem ist die Armutsquote unter Senioren stark angestiegen – eine direkte Folge der fortwährenden Kürzungen bei den Renten.

Persistierende Armut

Der Gesamtverband stellt fest, dass die Kinderarmut “deutlich zurückgegangen” sei. Bei genauerer Betrachtung der Zahlen erscheint diese Aussage jedoch zu optimistisch. So fiel der Anteil armer Kinder von 21,3 Prozent im Jahr 2021 auf 20,7 Prozent im Jahr 2023 – eine minimale Verbesserung um 0,6 Prozentpunkte. 2019 lag die Armutsquote für Minderjährige noch bei 15 Prozent. Auch 2023 war diese Gruppe somit um fast 40 Prozent größer als vier Jahre zuvor.

Ähnliches gilt für Alleinerziehende: Hier sank die Armutsquote innerhalb eines Jahres von 43,2 auf 41 Prozent. 2020 lag dieser Wert jedoch bereits bei etwa 40 Prozent. Diese Zahlen zeigen deutlich, dass es an effektiven Maßnahmen fehlt, um besonders betroffenen Gruppen innerhalb der viel gepriesenen “marktkonformen Demokratie” bessere Lebensbedingungen zu ermöglichen.

Die Armutsquote unter Rentnern stieg innerhalb eines Jahres von knapp 18 auf fast 19 Prozent. Frauen jeden Alters sind nach wie vor häufiger von Armut betroffen als Männer, was laut Statistikbehörde vor allem an der überproportionalen Vertretung in schlecht bezahlten Berufen und Unterbrechungen in der Berufstätigkeit aufgrund von Pflegeverantwortungen liegt.

Hohe Armutsquoten verzeichnen auch Einpersonenhaushalte (28,1 Prozent), junge Erwachsene unter 25 Jahren (Männer: 23,6 und Frauen: 26,5 Prozent), Menschen mit Migrationshintergrund (rund 28 Prozent) sowie Familien mit drei oder mehr Kindern (gut 30 Prozent). Es scheint, als verfestige sich das Problem zusehends.

Nicht genug für Grundbedürfnisse

Die Zunahme von Armut unter Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen korreliert mit Niedriglohn, Arbeitslosigkeit und dem Sozialabbau, besonders im Bildungsbereich, und ist ebenso in der gesamten Europäischen Union (EU) ein Problem. Die neoliberale Politik des Westens zeigt hier wenig Rücksichtnahme und bewertet Lohnabhängige nach ihrem Nutzwert für das Kapital.

Arme Menschen können sich immer häufiger nicht einmal grundlegende Bedürfnisse leisten. Im Jahr 2022 konnten beispielsweise etwa 5,5 Millionen Menschen in Deutschland ihre Wohnung im Winter nicht adäquat beheizen. Gegenüber dem Vorjahr hat sich diese Zahl verdoppelt. In der EU war sogar jeder zehnte davon betroffen. Eine angemessene Heizung während der kalten Monate gehört zu den elementaren Bedürfnissen.

Die Anstiege der Energiepreise waren vorhersehbar, insbesondere nach EU-Sanktionen gegen Russland und der folgenden Explosion der Lebensmittelpreise nach dem Anschlag auf die Nord-Stream-Gasleitungen, hinter dem viele Beobachter die USA vermuten. Doch ein sichtbares Bestreben, dieses Verbrechen aufzuklären, ist weder bei der Bundesregierung noch in der EU erkennbar.

Verband fordert “konsequentere Reformen”

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, erklärt, die geringfügigen Verbesserungen zeigten, “dass Armutsbekämpfung möglich ist”. Maßnahmen wie die Erhöhung des Kindergelds und -zuschlags, Verbesserungen beim Wohngeld und beim BAföG, sowie die Anhebung des Mindestlohns hätten durchaus Wirkung gezeigt. Aber er ergänzte:

“Die Reformen müssen nur wesentlich konsequenter angegangen werden.”

Schneider fordert auch Erhöhungen der Altersgrundsicherung und des Bürgergeldes sowie einen “armutsfesten Familienlastenausgleich” und eine grundlegende Reform der gesetzlichen Rentenversicherung, einschließlich einer angemessenen Mindestrente. Ohne solche Maßnahmen werde die Altersarmut weiter zunehmen, warnt er.

Es ist zu befürchten, dass die Situation weiterhin stagniert, wie es seit Jahren der Fall ist: Sozialverbände warnen, die Regierung beschwichtigt und entwirft bestenfalls eine Gesetzesnovelle, die zwar gut klingen mag, den wirklich Bedürftigen jedoch wenig bringt. Die Verantwortung dafür schieben SPD und die Grünen gerne auf die FDP, die seit langem als Befürworterin der Interessen Reicher gilt.

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