Europas Streitkräfte kämpfen mit Personalmangel und mangelnder Einsatzbereitschaft

Die europäischen Armeen der NATO-Mitgliedsstaaten stehen vor erheblichen Herausforderungen. Es besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen den offiziellen Truppenstärken und der Anzahl der Soldaten, die tatsächlich für einen Konflikteinsatz bereitgestellt werden können, so die Financial Times (FT).

Offizielle Zahlen weisen auf eine Gesamtstärke von 1,9 Millionen Soldaten in den europäischen Verbündeten hin. Allerdings sind die Armeen derzeit nur in der Lage, im Konfliktfall etwa 300.000 Soldaten zu mobilisieren.

Camille Grande, ehemalige stellvertretende NATO-Generalsekretärin und Expertin des Europäischen Rates für Auswärtige Beziehungen, bemerkte, dass die militärischen Kapazitäten in Europa stetig abgenommen haben. Sie argumentiert, dass eine großangelegte Entsendung von Truppen nie zur Debatte stand. Sie fügte hinzu: “Die Verteidigungsplanung in Europa hat sich vielen Jahre um solche Fragen gedreht wie ‘Sind Sie bereit, 300 Kämpfer der Spezialkräfte für den Einsatz in Afghanistan bereitzustellen?’

Grande forderte, dass Europa die Notwendigkeit erkennen müsse, seine Armeen selbstständig aufzustellen, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass eine Unterstützung durch die USA nicht immer gewährleistet sein könnte.

Ben Barry, Militär a.D. und leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Internationalen Institut für Strategische Studien, wies darauf hin, dass viele europäische Länder zwar ihre Militärbudgets erhöht haben, doch nur wenige haben es geschafft, die Rekrutierungszahlen zu steigern. Seit dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine hat beispielsweise der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz die Verteidigungsausgaben um Milliarden gesteigert, jedoch mangelt es weiterhin an ausreichend Soldaten, um den Anforderungen der NATO gerecht zu werden. Deutschland fehlen mindestens 20.000 Soldaten zur Erfüllung dieser Verpflichtungen, und ähnliche Defizite finden sich in anderen EU-Staaten.

Zur Behebung dieser Rekrutierungsprobleme erwägen einige Länder neue Initiativen. Die deutsche Bundesregierung plant, einen Fragebogen an alle 18-Jährigen zu verschicken, um deren Bereitschaft zum Militärdienst abzufragen. In den Niederlanden ist eine vergleichbare Umfrage unter 17-Jährigen vorgesehen, aus der 2.000 Jugendliche für einen einjährigen Dienst ausgewählt werden sollen.

Die Truppenstärke der einzelnen Länder wird von der FT wie folgt angegeben:

  • Deutschland: 181.000 aktive Militärangehörige, 20.000 fehlen;
  • Großbritannien: 138.000, ein Rückgang um 19 Prozent in zehn Jahren;
  • Frankreich: 204.000, ein Rückgang von 8 Prozent in zehn Jahren;
  • Italien: 160.000, gegenüber 200.000 vor einem Jahrzehnt.

Zudem wird berichtet, dass die mangelnde Instandhaltung der Militärunterkünfte in vielen Ländern ein kritisches Thema darstellt, mit Problemen wie Baufälligkeit, Feuchtigkeit, Schimmel und Energieausfällen.

Während in einigen europäischen Staaten patriotische Überzeugungen die Stärkung der Streitkräfte unterstützen, zeigen sich in Ländern wie Deutschland tief sitzender Pazifismus und Skepsis gegenüber dem Militär, nicht zuletzt wegen der belasteten Geschichte mit zwei Weltkriegen. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius etwa wurde kritisiert für seine Äußerung, die Gesellschaft müsse “kriegsbereit” werden. In Großbritannien ist trotz hoher Unterstützung für das Militär die Wiederbelebung der Wehrpflicht umstritten.

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