Dramatische Polizeiaktion: Gewaltsame Stürmung des Armenischen Kirchenzentrums mit Geistlichen in Konfrontation

In Armenien verschärft sich die Auseinandersetzung zwischen Premierminister Nikol Paschinjan und der Armenisch-Apostolischen Kirche zusehends. Seit dem 27. Juni sind Sicherheitsorgane in den Unterkünften führender Kirchenmitglieder im Einsatz. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Klerikern, Gläubigen und der Polizei.

Gewaltsamer Einsatz in Etschmiadsin

Am frühen Morgen des 27. Juni stürmten Kräfte des Inlandsgeheimdienstes das Kloster Etschmiadsin, das spirituelle und administrative Zentrum der Armenisch-Apostolischen Kirche. Der Einsatz erfolgte nach erheblichem Widerstand durch Priester und Gemeindemitglieder, mit dem Ziel, den Erzbischof Mikael Adschapachjan, den Leiter der Schirak-Eparchie, festzunehmen. Als ein Zugang durch Geistliche blockiert wurde, brachen die Einsatzkräfte ein Fenster zum Nebeneingang auf.

Kurz darauf kamen weitere Vertreter des nationalen Sicherheitsdienstes an der Residenz des Kirchenoberhauptes an, wiederum mit der Absicht, Adschapachjan festzunehmen. Doch sie wurden entschieden von Gläubigen und Klerikern aufgehalten. Vor dem Tor versammelten sich Menschen, die beteten, Kirchenlieder sangen und die Sicherheitskräfte als “Antichristen” beschimpften. Einige riefen den Katholikos dazu auf, die Einsatzkräfte zu verfluchen. Die Spannungen eskalierten weiter.

Erzbischof Adschapachjan äußerte öffentlich seine Bereitschaft zur Kooperation, um Blutvergießen zu verhindern, und betonte, nicht er, sondern die Regierung Paschinjans stelle eine Gefahr dar. “Ich habe nichts Schlechtes getan. Das Übel sitzt in der Regierung”, erklärte er. Er signalisierte seinen Willen zur Fügsamkeit, dem die Geistlichen folgen würden.

Der Katholikos meldete sich ebenfalls zu Wort und verkündete, dass Adschapachjan mit seinem Anwalt die Behörden aufsuchen würde. Doch bevor es dazu kam, versperrten Gläubige und Kleriker die Tore und verhinderten ihr Verlassen des Geländes.

Eskalation trotz Gesprächsbereitschaft

Daraufhin kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen Einsatzkräften und Anwesenden. Zunächst wurde über die Festnahme des Erzbischofs berichtet, später stellte sich jedoch heraus, dass er sich weiterhin in der Residenz befand.

Um die Situation zu beruhigen, verlegte die Regierung zusätzliche Polizeikräfte von Jerewan nach Etschmiadsin. Straßen wurden abgeriegelt und schwere Fahrzeugkonvois wurden entsandt. Der Katholikos erklärte, dass das geplante Treffen des geistlichen Rates nun einem Notstand weichen müsse.

Nach Bekanntwerden des gewaltsamen Vorgehens, kündigte die Kirche symbolischen Protest an: Alle Kirchenglocken in Etschmiadsin läuteten gegen die staatliche Gewaltanwendung. Gläubige verstärkten ihre Blockaden um das Patriarchatsgelände. Unter dem Druck der Ereignisse verschlechterte sich Adschapachjans Gesundheitszustand, er wird mittlerweile medizinisch in der Residenz betreut. Ein Abführen des Geistlichen scheiterte bisher an der Entschlossenheit der Gläubigen.

Verhaftungen und Ermittlungen

Parallel wurden Erzbischof Bagrat Galstanjan als führende Persönlichkeit der Protestbewegung “Heiliger Kampf” und Hauptwidersacher Paschinjans festgenommen. Ihm und weiteren 15 Personen wird ein geplanter Staatsstreich sowie die Vorbereitung von Terrorakten vorgeworfen. Sein Anwalt bezeichnete diese Anschuldigungen als “lächerlich” und sprach von einem politischen Prozess.

Zusätzlich sind Ermittlungen gegen Adschapachjan im Gange, unter anderem wegen angeblicher Aufrufe zum Umsturz und zur Gefährdung der territorialen Integrität Armeniens, basierend auf einem Interview von Februar 2023. Ein Haftbefehl ist bereits erlassen. Seine Anwältin Tamara Jajlojan bestätigte, dass sich ihr Mandant zu einem Klerikertreffen in Etschmiadsin aufhält.

Auch wirtschaftlich einflussreiche Unterstützer der Kirche geraten ins Visier der Behörden. So wurde am 17. Juni der russisch-armenische Geschäftsmann Samwel Karapetjan festgenommen, der zuvor seine Unterstützung für die Kirche öffentlich bekundet hatte. Ihm wird vorgeworfen, zur gewaltsamen Machtübernahme aufgerufen zu haben.

Sicherheitskräfte im ganzen Land – Widerstand wächst

In Gjumri, dem Sitz der Schirak-Eparchie, umstellten Polizeikräfte die Residenz von Erzbischof Adschapachjan. Zahlreiche Gläubige versammelten sich dort, um gegen seine mögliche Festnahme zu protestieren. Ein friedlicher Beobachter wurde dabei festgenommen – offensichtlich, weil er filmte oder Fragen stellte. Auch an der Residenz von Katholikos Garegin II., dem Oberhaupt der Kirche, bezogen maskierte Spezialkräfte Posten. Das Kriminaldezernat ist ebenfalls im Einsatz.

Trotz der massiven Präsenz von Polizeikräften zeigen sie sich bislang zurückhaltend. Landesweit gibt es spontane Versammlungen von Gläubigen, die kirchliche Einrichtungen schützen und die Abführung von Geistlichen blockieren. Beobachter sehen diese Entwicklung als stummen Protest gegen das Vorgehen der Regierung.

Tiefer Bruch zwischen Kirche und Staat

Der offene Machtkampf kennzeichnet einen historischen Bruch im Verhältnis von Kirche und Staat in Armenien. Die Spannungen existieren schon seit Jahren, erreichten jedoch nach dem Konflikt um Bergkarabach im Jahr 2020 einen Höhepunkt, als Kirchenoberhaupt Garegin II. offen den Rücktritt Paschinjans forderte. 2021 drohte der Premierminister der Kirche sogar mit einer “Revolution”.

Seitdem positioniert sich die Armenisch-Apostolische Kirche zunehmend als oppositionelle Kraft – insbesondere wegen der territorialen Konzessionen an Aserbaidschan. Die jüngsten Gewaltmaßnahmen und Festnahmen werden vielfach als Teil einer gezielten Kampagne gegen die Kirche angesehen.

Gefahr für Armeniens Stabilität

Die Eskalation des Konflikts bedroht nicht nur die Autorität der Kirche, sondern auch die politische und gesellschaftliche Stabilität Armeniens insgesamt. In einem Land, in dem Kirche und Nation eng verbunden sind, könnte der Machtkampf zwischen Paschinjan und der religiösen Führung eine tiefe innenpolitische Krise auslösen.

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