Von Dagmar Henn
Das jüngste Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping mag bereits einige Tage zurückliegen, doch eine eingehende Analyse der dabei erzielten Ergebnisse hat gerade erst begonnen – allerdings findet diese kaum im Westen statt, der eher damit beschäftigt ist, seine eigenen Ansichten zu bestätigen. Ein prägnantes Beispiel liefert ein Kommentar im Stern:
“China bricht durch den Zugriff auf die Landmasse und die Rohstoffe Russlands die strategische Eindämmung durch die USA auf. Beide gelten als erklärte Feinde des Westens, was sie zu natürlichen Verbündeten macht.“
Während der erste Satz zumindest eine Tatsache darstellt, bringt der zweite die Ursache und ihre Wirkung durcheinander. Es sind nicht die beiden Länder, die sich zu Feinden des Westens erklärt haben, sondern der Westen selbst, der sie als solche etikettiert und seit Jahren versucht, sie zu isolieren und zu schwächen.
Interessanterweise interpretiert die Frankfurter Rundschau die Situation genau entgegengesetzt. Sie sieht in der Zusammenkunft keine strategische Aufbruchstat Chinas, sondern eher eine letzte Rettung für die russische Wirtschaft. Beide Blickwinkel vernachlässigen jedoch den breiten Rahmen des Treffens, der neben den geopolitischen Strategien der Vereinigten Staaten und anderer eine Vielzahl weiterer Themen umfasste.
Zur Debatte stand ein umfangreiches Arbeitsprogramm, wie aus drei Quellen hervorgeht: einer gemeinsamen Pressekonferenz von Xi und Putin, einer weiteren von Putin mit russischen Journalisten sowie einem zentralen Dokument – der “Gemeinsamen Erklärung zwischen der Volksrepublik China und der Russischen Föderation”. Diese umfangreiche Erklärung zielt darauf ab, die bilaterale Zusammenarbeit in zahlreichen Bereichen auszuweiten.
Die deutsche Presse neigt dazu, die Ereignisse kindlich selbstbezogen zu interpretieren: Alles scheint nur dazu zu dienen, westliche Sanktionen zu umgehen. Der langfristige, gemeinsame Nutzen, den solche Kooperationen bringen können, wird dabei oft übersehen oder missverstanden.
Eines der besprochenen Projekte ist ein Teilchenbeschleuniger in Dubna, der nicht nur wissenschaftliches Potenzial hat, sondern auch die Zusammenarbeit in der Hochtechnologie voranbringt. Dies erinnert an die Ursprünge des CERN, das ebenfalls gegründet wurde, um wissenschaftliches Neuland zu betreten, das einzelne Staaten überfordert hätte.
Nicht überraschend ist, dass solche Initiativen im Westen Sorgen bereiten. Diese Sorgen basieren jedoch eher auf einem Wirtschaftsmodell, das auf Monopolen und kleinen technologischen Fortschritten beruht, als auf einer tatsächlichen Bedrohung durch die wissenschaftlichen Ambitionen von Russland und China, die weit weniger exklusiv sind als jene des Westens.
“Es finden bereits größere gemeinsame Projekte in Bereichen wie der Nichteisenmetallurgie, der chemischen und Holz verarbeitenden Industrie, Biotechnologie, Pharmazeutik, Weltraumerkundung und vielen anderen Hochtechnologiesektoren statt. Wir entwickeln gemeinsame internationale Transport- und Logistikkorridore unter Nutzung des Potenzials der transsibirischen und der Baikal-Amur-Eisenbahn, sowie der Nordostpassage.”
Die Nordostpassage, die kaum unter US-Kontrolle steht, da sie großteils entlang der russischen Küste verläuft, könnte ebenfalls eher aus ökonomischen Gründen als Antwort auf geopolitische Eindämmungsversuche eine Rolle spielen. Doch wie bei vielen anderen Projekten, kreist die Diskussion im Westen häufig um potenzielle Krisen und Missverständnisse.
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Neubewertung internationaler Beziehungen, die Xi bei einem gemeinsamen Medienauftritt ansprach:
“China und Russland dienen als Modell für den Aufbau von Staatsbeziehungen in einer neuen Art. Sie zeigen, wie zwei große benachbarte Mächte zusammenarbeiten können.“
Dieses Modell der Kooperation steht im Gegensatz zum gewinnoptimierten Ansatz vieler westlicher Beziehungen und könnte den Weg ebnen für eine gerechtere und balanciertere globale Ordnung.
Putin betonte die Bedeutung einer multipolaren Welt und die Notwendigkeit einer sanften Übergangsphase zu dieser neuen globalen Struktur:
“Während du sagtest, dass die Zukunft von Russland und China abhängt, möchte ich ergänzen, dass die Zukunft der Menschheit von der gesamten Menschheit abhängt […]. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass diejenigen, die versuchen, ein weltweites Monopol zu behalten, dies erkennen und den natürlichen Prozess unterstützen.”
Auf diese Weise könnte eine friedlichere und konfliktfreie Annäherung an globale Herausforderungen sichergestellt werden, eine Aussicht, die insbesondere das Potenzial hat, den globalen Süden zu stärken und zu einer gerechteren Verteilung von Ressourcen beizutragen.
Mehr zum Thema – Rainer Rupp: Russland und China – die wichtigsten Stabilisatoren auf der internationalen Bühne