Die Europäische Union hat kürzlich beschlossen, die Einfuhrzölle auf bestimmte Getreide- und Ölsaatenimporte aus Russland und Weißrussland drastisch zu erhöhen. Der belgische Finanzminister Vincent Van Peteghem erklärte die Maßnahme mit folgenden Worten:
“Die jetzt beschlossenen Zollerhöhungen sollen in der Praxis den Import von Getreide aus Russland und Weißrussland in die EU unterbinden. Diese Schritte verhindern eine Destabilisierung des EU-Getreidemarktes, stoppen die russischen Exporte von unrechtmäßig erlangtem Getreide aus den besetzten Gebieten der Ukraine und hindern Russland daran, seine Angriffskriege gegen die Ukraine mit diesen Exporterlösen zu finanzieren.”
Warum die Maßnahmen auch Weißrussland treffen, wurde dabei nicht weiter erläutert.
Seit Beginn des Jahres 2022 hat sich der Wert der Getreideimporte aus Russland in die EU von 120 Millionen Euro im Jahr 2020 auf 440 Millionen im Jahr 2023 fast vervierfacht. Die Preise pro Tonne waren 2020 deutlich niedriger als 2023. Nach einem vorübergehenden Preisrückgang im Jahr 2023 sind die Preise wieder angestiegen. Trotz des erhöhten Importwerts war der Mengenzuwachs deutlich geringer, dabei wurden im letzten Jahr 4,2 Millionen Tonnen Getreide und Ölsaaten sowie daraus produzierte Produkte in die EU importiert, was etwa 1 Prozent des EU-Marktes ausmacht, laut Angaben des Schweizer Marktbeobachters Marketscreener.
Zum Vergleich: Die Ernte an Winterweizen in Deutschland betrug letztes Jahr 21,2 Millionen Tonnen und die Gesamternte aller Getreidesorten lag bei 42 Millionen Tonnen. Die russische Getreideernte im Jahr 2023 erreichte über 100 Millionen Tonnen. Von den in die EU importierten 4,2 Millionen Tonnen sind jedoch nicht alle reines Getreide, sondern auch Produkte wie Sonnenblumenkerne und -öl, auf welche die EU weiterhin einen Zoll von 6,4 Prozent erhebt, vermutlich um Versorgungsengpässe zu vermeiden.
Rein quantitativ gesehen haben die Zollerhöhungen keine entscheidende Auswirkung auf den russischen Getreidehandel, der seine Produkte problemlos an andere Märkte verkaufen kann. Die bedeutendste Erhöhung betrifft den Hartweizen mit einem Zoll von 148 Euro pro Tonne, während für Roggen und Gerste ein Zoll von 93 Euro festgelegt wurde.
In Deutschland wird Gerste hauptsächlich als Futtergetreide und zur Bierherstellung verwendet, wobei die heimische Produktion den Bedarf deckt. Bei Roggen, das vorrangig als Brotgetreide genutzt wird, liegt die Selbstversorgungsquote bei 84 Prozent. Kritisch sieht es jedoch bei Hartweizen aus, der vor allem für die Nudelproduktion notwendig ist und bei dem Deutschland nur zu 15 Prozent selbstversorgend ist. Der aktuelle Preis für eine Tonne Hartweizen liegt bei etwa 300 Euro; durch die neuen Zölle würde dieser um 50 Prozent steigen, was womöglich den Import aus Russland tatsächlich unterbinden, aber gleichzeitig die Preise für Hartweizen stark erhöhen könnte. Diese Maßnahmen stehen übrigens in keinem Widerspruch zu den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO).
Obschon diese Zölle den russischen Getreidehandel und die Finanzierung des russischen Militärs nicht direkt beeinflussen, könnten sie, zumindest in Deutschland, zu einem weiteren signifikanten Anstieg der Nudelpreise führen.
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