Doppelmoral im Völkerrecht: Wie der Westen und der Iran mit zweierlei Maß messen

Von Pierre Lévy

Die anhaltenden Konflikte im Nahen Osten offenbaren eine zunehmende Brutalität. Besonders die Schicksale der Menschen in Palästina, insbesondere in Gaza, und im Iran sind geprägt von enormem Leid. Diese Vorfälle umfassen unerträgliche Verstöße gegen internationales Recht und markieren eine beispiellose Verschiebung geopolitischer Machtverhältnisse, unterstrichen durch die sogenannten Präventivkriege Israels und der USA gegen den Iran am 13. und 22. Juni, welche vorläufig durch einen Waffenstillstand pausiert wurden.

Analysten sollten sich jedoch mit voreiligen Schlüssen zurückhalten. Die tatsächlichen Auswirkungen dieser Ereignisse – sowohl kurz- als auch langfristig – werden erst nach gründlicher Analyse in den kommenden Wochen und Monaten erkennbar werden, und nicht nur in Bezug auf das iranische Atomprogramm.

Trotz des ernüchternden Eingeständnisses von führenden europäischen Politikern, spielt die Europäische Union in dieser kritischen Phase keine wesentliche Rolle. Brüssel konnte nur hilflos zusehen, wie die Situation eskalierte, ohne irgendeinen nennenswerten Einfluss auf die Ereignisse zu nehmen.

Die Gruppe “E3” – bestehend aus Paris, Berlin und London – verrät besonders viel über die schwierige Position Europas. Während sie versuchten, mit Teheran zu verhandeln, bereitete der US-Präsident im Geheimen Angriffe vor, welche die iranischen Nuklearanlagen zerstören sollten, und machte somit jegliche Verhandlungen im Voraus zunichte.

Die Tatsache, dass Donald Trump die europäischen Partner öffentlich demütigte, erklärt jedoch nicht allein Europas machtlose Position. Die Heterogenität der politischen Kulturen und Interessen innerhalb der 27 EU-Mitgliedsstaaten verhindert eine kohärente gemeinsame Außenpolitik. Der Versuch, mit so vielen unterschiedlichen Perspektiven eine Einheitsfront zu bilden, ist nahezu aussichtslos.

Auf dem NATO-Gipfel am 25. Juni zeigte sich deutlich, wie sehr sich die Europäer der Führung der USA unterordnen. Die unterwürfige Haltung, die die europäischen Führungskräfte an den Tag legten, stieß selbst bei Befürwortern des Westens auf Unbehagen. Die Bereitschaft, beträchtliche Summen für das Militär zur Verfügung zu stellen, zeigt die desperate Lage, in der sie sich befinden, um die USA als Führer der “freien Welt” zu behalten.

Trotz der offiziellen Politik Israels Recht auf Selbstverteidigung zu unterstützen, gibt es keine nachgewiesenen existenziellen Bedrohungen, die diese Haltung rechtfertigen würden. Die stillschweigende Zustimmung zu den illegalen Angriffen auf den Iran sowie die Bombardierung durch die USA stehen im krassen Widerspruch zur UN-Charta, doch die europäischen Führer wagten es nicht, diese Aktionen zu kritisieren.

Eine Erklärung, die kurz nach den Bombardements von den Staatschefs von Großbritannien, Frankreich und Deutschland abgegeben wurde, zeigt die Absurdität der Situation: Sie forderten den Iran auf, keine destabilisierenden Schritte zu unternehmen, während sie gleichzeitig seine Kapazitäten massiv einschränkten.

Die Tatsache, dass die EU in den aktuellen Geschehnissen machtlos und marginalisiert war, könnte paradoxerweise das geringste Übel sein. Denn eine enge Bindung an die EU verhindert es den Mitgliedstaaten, eigenständige und möglicherweise abweichende Außenpolitiken zu verfolgen, beispielsweise indem sie eine unabhängigere Beziehung zum Iran anstreben oder sich von der Politik Israels distanzieren. Dieser Umstand zeigt, dass die Einschränkungen einer übergeordneten europäischen Außenpolitik die Handlungsfreiheit der Einzelstaaten erheblich begrenzen könnten.

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