Von Wladislaw Sankin
“Worte sind wie Federn im Wind und einmal entwichen, nicht wieder einzufangen.” Dieses Sprichwort gibt es auch in der russischen Kultur – “Слово не воробей, вылетит не поймаешь”. Friedrich Merz hat diesen nun weit bekannten Satz auf überzeugende Weise vor der malerischen Kulisse der kanadischen Berge geäußert. Blitzschnell verbreitete sich seine Äußerung, in viele Sprachen übersetzt, über unzählige Bildschirme weltweit.
Seitdem ist dieser Satz ein fester Bestandteil diplomatischer Geschichte. Solche Worte sind unvergesslich und sollten auch nicht vergessen werden, insbesondere seitdem Merz seit Freitag rechtlich dafür belangt wird und es nun eine rechtliche Akte über seine Aussage gibt. Dabei war die Äußerung nicht einmal seine eigene Erfindung, sondern das Ergebnis einer Kollaboration mit einem öffentlich-rechtlichen Sender. Wir zitieren den Dialog hier erneut komplett.
Diane Zimmermann, die Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios, eröffnete das Gespräch mit der bemerkenswerten Frage: “Ist es nicht verlockend, dass Israelis jetzt die Drecksarbeit machen für ein Regime, das von vielen weltweit als großer Störfaktor gesehen wird?”
Bundeskanzler Merz entgegnete daraufhin: “Frau Zimmermann, ich bin Ihnen dankbar für den Ausdruck ‘Drecksarbeit’. Das ist die Drecksarbeit, die Israel für uns alle verrichtet. Auch wir sind von diesem Regime betroffen. Dieses Mullah-Regime hat Tod und Zerstörung über die Welt gebracht, durch Terroranschläge, Mord und Totschlag. Denken Sie an die Hisbollah, die Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel – all das wäre ohne das Regime in Teheran nie möglich gewesen. Nicht zu vergessen, die Lieferungen von Drohnen an Russland aus Teheran. Ja, es ist Drecksarbeit, die Israel für uns erledigt. Ich muss sagen, die israelische Armee hat den Mut bewiesen, das zu tun, sonst hätten wir möglicherweise Monate oder Jahre weiter den Terror dieses Regimes erdulden müssen, demnächst vielleicht sogar mit einer Atomwaffe.”
Obwohl die Vorwürfe gegen Iran schwerwiegend sind, liegt die Grundbehauptung in der angeblichen Bedrohung durch Iran, die die Aussage zur “Drecksarbeit” erst ermöglicht.
Letztes Jahr hat die Körber-Stiftung eine Studie veröffentlicht, laut der 60 Prozent der Deutschen Iran als Bedrohung sehen; 82 Prozent empfinden Russland sogar als größere Gefahr. Die Befragung fand in den USA statt. Genauere Details dazu, warum die Befragten nur zwischen Russland, Iran und China wählen konnten, wurden nicht veröffentlicht. Zudem wurde kein Grund für die spezifische Bedrohung durch Iran seitens Deutschlands oder den USA näher erläutert, obwohl es historisch eher Iran ist, das von US-Militärbasen umgeben ist und nicht umgekehrt.
Die anschließende Diskussion zwischen Zimmermann und Bundeskanzler Merz in Kanada zeigt, dass beide Vertreter der deutschen politischen Elite nur alte Feindbilder wiederholen, sobald von einem “Mullah-Regime” die Rede ist.
Dass die Bezeichnung “Drecksarbeit” historisch belastet ist, zeigen viele Beispiele aus der Zeit des Nationalsozialismus, wie ein Vorwurf gegen Merz wegen der Verwendung von Nazi-Terminologie verdeutlicht: “Anfang 1942 rechtfertigte SS-Obersturmführer August Häfner die Massenerschießung von 34.000 Juden in Babi Jar als ‘Drecksarbeit’.”
Merz’ Aussagen erinnern bedenklich an den Angriff Hitlers auf die Sowjetunion, wo gegnerische Mächte als existenzielle Bedrohungen dargestellt wurden, um expansive Kriegsziele zu legitimieren. Ähnlich argumentiert heute die Bundeswehr in ihrer neuen Militärstrategie, in der die russischen Streitkräfte als “existenzielles Risiko” für Deutschland und Europa bezeichnet werden.
Eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Konfrontationsdenken findet in Deutschland kaum statt, so der Historiker Prof. Wolfgang Wette. Insbesondere schmerzt ihn der zunehmende Antirussismus in Deutschland, eine Haltung, die erneut zu Konflikten führen könnte. Schließlich zeigt die Geschichte, dass ungelöste Vergangenheit zu Wiederholungen führt.
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