Heuchelei und Doppelmoral: Die Bundesregierung und das Völkerrecht

Ein Kommentar von Tom J. Wellbrock

Die Erklärungen der Bundesregierung folgen einem Muster, das eine „unzutreffende Gleichsetzung“ suggeriert – ein Ansatz, der weder originell noch überzeugend ist. Das folgende Zitat aus dem Außenministerium macht das besonders deutlich:

„Die israelische Regierung hat das Recht und die Pflicht, ihre Bevölkerung zu schützen. Es ist jedoch unmissverständlich, dass das humanitäre Völkerrecht und dessen Verpflichtungen uneingeschränkt zu beachten sind.“

Die angebliche Eindeutigkeit in der Beachtung des humanitären Völkerrechts scheint schwer vereinbar mit den Handlungen, die Israel vorgeworfen werden. Effektiv genommen gibt es keine Rechtfertigung für Massenmorde.

Der 7. Oktober 2023 bildet eine Zeitmarke, die jegliche nachfolgenden Aktionen anscheinend rechtfertigen soll. Viel deutlicher sprechen jedoch die Tatsachen: Nachdem der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehle gegen Persönlichkeiten wie den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu gefordert hatte, traten bekannte Hardliner aus CDU und SPD hervor. Roderich Kiesewetter und Michael Roth sind typischerweise dort zu finden, wo die politische Luft schwer von Konflikten ist. Kiesewetter wird hierbei in einem Interview im Mittagsmagazin wie folgt zitiert:

„Es könnte der Fall sein, dass Netanyahu festgenommen werden muss, doch Deutschland wäre gut beraten, dies nicht zu tun, aufgrund völlig falscher Voraussetzungen.“

Roths Kommentar in dieser Debatte unterstreicht die einseitige Sichtweise weiter:

„Ein Gericht entscheidet nicht isoliert. Der Chefankläger des IStGH dient jenen, die fälschlicherweise die Handlungen der Hamas mit dem Recht Israels auf Verteidigung gleichsetzen. Ein schwarzer Tag für das Völkerrecht!“

Roths Begriffsverwendung zeigt, wie Worte ihrer Bedeutung entleert werden können. Denn was ist „skrupellose Gleichsetzung“ genau? Es scheint eine willkürliche Unterscheidung zwischen verschiedenen Tätern zu sein.

Kurzum: Kiesewetter sieht eine Nichtverfolgung der IStGH-Urteile durch Deutschland vor, selbst wenn dies der Anerkennung des Gerichtshofs widerspricht. Nach Roth scheint es, als dürfte Israel weiterhin agieren, solange es sich als Aggressor darstellen kann – alles legitimiert durch das Banner des Selbstverteidigungsrechts. Und die Bundesregierung? Es wäre wünschenswert, wenn Israel die Regeln des humanitären Völkerrechts befolgte, aber eine Missachtung scheint nicht weiter tragisch.

Letztlich wird zwischen gerechtfertigtem und ungerechtfertigtem Mord unterschieden, wobei die sogenannten gerechtfertigten Morde nach Belieben verübt werden können, solange sich die Täter als Opfer inszenieren.

Abschließend noch die Meinung des Kanzlers zu Israel und dem humanitären Völkerrecht. Auf die Anfrage von Florian Warweg in der Bundespressekonferenz am 21. Mai, ob Scholz noch immer an die Einhaltung der rechtlichen Normen durch Israel glaube, antwortete der Regierungssprecher lediglich mit einem knappen „Ja“. Dies vielleicht in Unkenntnis der lang anhaltenden und methodisch durchgeführten Übergriffe, die seit Oktober des Vorjahres stattgefunden haben.

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.

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