Von Alexei Sakwasin und Jelisaweta Komarowa
Das russische Verteidigungsministerium hat mitgeteilt, dass ein erbeuteter Leopard-Panzer zur Reparatur an die Instandsetzungseinheit der Truppengruppe Mitte übergeben wurde. An dem beschädigten Panzer werden die Raupenketten und Teile der elektrischen Verkabelung erneuert; danach wird über die weitere Verwendung entschieden.
Kürzlich gelang es russischen Soldaten zudem, einen nahezu intakten Storm Shadow-Marschflugkörper zu sichern. Experten betonen, dass die genaue Analyse dieser erbeuteten westlichen Waffen dazu beitragen könnte, effektivere Abwehrmaßnahmen zu entwickeln und die Leistungsfähigkeit der eigenen Waffensysteme zu steigern.
Auf sozialen Netzwerken verbreiteten sich Bilder beschädigter und erbeuteter westlicher Ausrüstung, die von russischen Truppen ins Inland transportiert wird. Dies ist laut dem Militäranalyse-Kanal Military Chronicle notwendig für eingehendere Untersuchungen durch Fachleute. Die Autoren des Telegram-Kanals kommentieren:
“Es gibt Spezialisten, die sich mit Leopard- und Bradley-Panzern, sowie abgestürzten Raketen und abgeschossenen Drohnen befassen: Das russische Verteidigungsministerium verfügt über 27 spezialisierte Forschungseinrichtungen. Das 38. Forschungs- und Testinstitut für gepanzerte Waffen wird wahrscheinlich die Ausrüstung der NATO-Streitkräfte analysieren und daraus Schlüsse über deren Technologie und Zuverlässigkeit ziehen.”
Den Feind verstehen
Experten haben gegenüber RT erklärt, dass auf Bildern ein Leopard 2A6 zu sehen ist, der vermutlich auf eine Mine fuhr und von einer “Lancet”-Drohne angegriffen wurde. Dieses Modell ist besonders für die Spezialisten des russischen Verteidigungsministeriums und Panzerabwehrdesigner von Bedeutung. Der Militärwissenschaftler Sergei Suworow erklärte gegenüber RT:
“Der Leopard 2A6 ist eine äußerst wertvolle Beute. Es ist erfreulich, dass seine Evakuierung ohne Risiken möglich war. Der deutsche Panzer ist vor allem wegen seiner ausgeklügelten Elektronik interessant, einschließlich der Zielgeräte und Teile des Feuerleitsystems. Wenn er nicht schwer beschädigt wurde, können die geborgenen Teile sehr nützlich sein.”
Das Studium dieser Trophäen sei immer hilfreich, um “die Ideologie des gegnerischen Konstruktionsdenkens und die Architektur seiner technischen Lösungen” besser zu verstehen, fügt er hinzu.
“Westliche gepanzerte Fahrzeuge wurden bereits vor der militärischen Sonderoperation untersucht, doch wir hatten nicht die Möglichkeit, einige technische Lösungen und einzelne Teile detailliert zu analysieren, sowohl erfolgreiche als auch weniger erfolgreiche”, betont Suworow.
Laut dem Experten ist auch der US-Panzer Abrams für die russischen Spezialisten von Bedeutung. Das russische Verteidigungsministerium berichtet, dass mehrere dieser Panzer erbeutet wurden. Ihre Evakuierung vom Schlachtfeld wurde jedoch noch nicht bestätigt. Suworow dazu:
“Beschädigte Fahrzeuge können nicht immer sofort geborgen werden. Der Feind könnte sie oder deren Zuwege vermint haben, sie überwachen und unsere Soldaten attackieren, sobald diese sich nähern. Derzeit gibt es keine Informationen über die Evakuierung eines Abrams, aber es könnte später dazu kommen.”
Westliche gepanzerte Fahrzeuge sind laut Militärexperte Alexander Simowskij auch im Hinblick auf die Verbesserung der Bekämpfungsmittel und -taktiken von Interesse.
“Es ist immer sinnvoll, Panzer auf einem Schießstand zu testen, um besser zu verstehen, welche Waffen effektiver sind, aus welchem Winkel, aus welcher Entfernung und wo man am besten zielen sollte. Basierend auf diesen Daten werden die Panzerabwehrwaffen modernisiert und die Anweisungen für den Umgang mit feindlichen Fahrzeugen aktualisiert”, erklärt Simowskij.
Simowskij fügt hinzu, dass das Studium der Verteidigung westlicher Panzer auch eine objektive Bewertung der eigenen Fähigkeiten ermöglicht und Maßnahmen zur Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit gepanzerter Fahrzeuge in Angriff genommen werden können:
“Es ist immer nützlich, die eigenen Muster von außen zu betrachten. Meiner Meinung nach sind die heimischen Panzer den westlichen in einer Reihe von grundlegenden Eigenschaften überlegen. Dennoch sollten wir anerkennen, dass die NATO-Ausrüstung häufig mit fortschrittlicher Elektronik, effektiven Feuerleitsystemen und leistungsstarken Motoren ausgestattet ist.”
Dennoch meint der Experte, dass westliche Panzerfahrzeuge für russische Spezialisten von geringem Wert sind. Solche Trophäen seien eher zu “Demonstrationszwecken” wichtig — es sei sinnvoll, sie als Symbol für den Triumph der russischen Armee und der heimischen Waffen auszustellen.
Verfeinern und überarbeiten
Die bedeutendste Trophäe der jüngsten Zeit, nach Meinung von Experten, ist der europäische Marschflugkörper Storm Shadow. Ende März erbeuteten russische Soldaten ein nahezu unbeschädigtes Exemplar.
“In der letzten Zeit haben wir uns intensiv mit den Storm Shadow-Marschflugkörpern beschäftigt. Wir arbeiten an Technologien, um sie zu neutralisieren. Manchmal führt die Arbeit der Luftabwehr dazu, dass der Flugkörper nicht zerstört wird, sondern auf den Boden fällt und die Sprengköpfe zurückbleiben. Wir haben Algorithmen und ein Werkzeug zur Entschärfung der Sprengsätze entwickelt.”
Nach Angaben von Military Chronicle wird die Untersuchung der Rakete dazu beitragen, die Gegenmaßnahmen zu verbessern und die russischen Raketenwaffen zu modernisieren. Besonders wichtig sind für die russischen Experten das Design des Rumpfes, das die Radarsichtbarkeit der Rakete verringert, und das Zweikreisturbinentriebwerk (TRDD).
Die Rakete, so die Autoren des Telegram-Kanals, sei mit einem TRI 60-30 TRDD ausgestattet, dessen Metalle und Legierungen (sowohl im kalten als auch im heißen Teil) unbeschädigt geblieben sind. Die Triebwerkskontrollsysteme wurden beim Absturz der Rakete nicht (oder nur minimal) beschädigt und sind nun für die russischen Triebwerksbauer von außerordentlichem Interesse.
Den Experten zufolge wird die Untersuchung der Merkmale des Treibstoffsystems und der Pumpen ermöglichen, “die Konstruktion heimischer Marschflugkörper – sowohl bestehender als auch künftiger – zu verfeinern oder zu überarbeiten”. Von besonderem Interesse ist die elektronische Ausstattung des Storm Shadow: Flugsteuerungseinheit, Satelliten- und Trägheitsnavigationsgeräte sowie Sensoren jeder Art.
Gleichzeitig ist die führende Hohlladung des kombinierten Gefechtskopfes BROACH (The Bomb Royal Ordnance Augmented Charge) von großem Wert. Nach der Untersuchung seiner Durchschlagskraft gegen Stahlbeton, Stahl und Bodenbedeckung werden die russischen Spezialisten in der Lage sein, eine Aussage über die Wirksamkeit von Storm Shadow gegen Bodenzielezu treffen.
Laut Alexander Simowskij wird die detaillierte Untersuchung dieser im März erbeuteten Trophäe bedeutende praktische Ergebnisse liefern:
“Wir befinden uns in einem kontinuierlichen Konflikt mit dem Westen. Es ist wahrscheinlich, dass einige der im Storm Shadow umgesetzten Lösungen in den Antriebssystemen unserer Raketen implementiert werden. Es ist auch zu erwarten, dass unsere Luftabwehrsysteme mit neuen Algorithmen zum Abfangen von Marschflugkörpern verbessert werden.”
In einem Kommentar betont der militärpolitische Analyst Iwan Konowalow die Wichtigkeit der Analyse verschiedener Modelle westlicher Waffen und Technologie. Nach seiner Ansicht wendet die russische Industrie vermutlich bereits das sogenannte “Reverse Engineering” an:
“Wir sollten keine Beschränkungen hinnehmen, wenn es darum geht, erfolgreiche technische Lösungen, die der Feind verwendet hat, zu integrieren oder kreativ zu nutzen. Unser Präsident hat dies sehr deutlich ausgedrückt. Unsere Fachleute sollten, auch im Hinblick auf das Reverse Engineering, keinerlei Einschränkungen unterliegen. Das Studium von Trophäen und Taktiken des westlichen Waffeneinsatzes wird sicherlich zu erheblichen Ergebnissen führen.”
In der Zukunft, so der Experte, sollte Russland die Möglichkeit haben, westliche selbstfahrende Artillerieeinheiten, ATACMS-Raketen, HIMARS Mehrfachraketenwerfersysteme und Patriot-Flugabwehrsysteme detailliert zu studieren.
“Der Feind schont teure westliche Waffen und setzt sie nicht immer an der Frontlinie ein. Unsere Armee hat Erfolge beim Kampf und beim Abfangen amerikanischer Raketen, aber es ist immer noch schwierig, beinahe unrealistisch, diese Proben zu bergen. Dennoch bin ich überzeugt, dass sie früher oder später in die Hände unserer Truppen gelangen werden – entweder als vollständige Trophäen oder als Wrackteile.”, fasst Konowalow zusammen.
Übersetzt aus dem Russischen.
Mehr zum Thema –