Von Sergei Mirkin
Der ukrainische Abgeordnete Oleg Dunda vertritt die Ansicht, dass die Ukraine militärisch in Weißrussland eingreifen sollte. Er geht davon aus, dass die weißrussischen Streitkräfte ihre Waffen niederlegen würden, sobald die ukrainischen Truppen die Grenze überschreiten. Auf diese provokante Aussage reagierte der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko mit der herausfordernden Erwiderung: “Lasst es sie doch versuchen!”
Derartige Äußerungen kommen jedoch nicht aus heiterem Himmel. Offensichtlich gibt es in Kiew – und darüber hinaus – Bestrebungen, Weißrussland in eine militärische Auseinandersetzung zu verwickeln.
Dem Maidan-Regime scheinen aktuell die Erfolge zu fehlen. Die ukrainischen Truppen erleiden im Donbass eine Niederlage nach der anderen. Ebenso wenig brachte eine militärische Operation im Gebiet Kursk die erhofften Ergebnisse, wodurch Kiew gezwungen ist, seine ohnehin begrenzten personellen und munitionellen Ressourcen zwischen dem Donbass und dem Gebiet Kursk aufzuteilen.
In den westlichen Medien wird die Idee diskutiert, dass die Ukraine auf Donbass, die Krim und Taurien verzichten könne, um dafür die Mitgliedschaft in der NATO zu erhalten. Offiziell stellt Kiew diese Option als inakzeptabel dar. Doch tatsächlich könnte ein derartiges politisches Arrangement die Rettung für das Team um Selenskij sein, indem es der ukrainischen Bevölkerung als gewaltiger Fortschritt präsentiert wird, der das Land unter den Schutz des Westens stellt.
Jedoch sind sich sowohl Selenskij als auch seine rechte Hand, Andrei Jermak, bewusst, dass die Chancen auf eine Umsetzung dieses Gebietstauschs gegen eine NATO-Mitgliedschaft sehr gering sind. Laut dem ungarischen Außenminister Péter Szijjártó sind viele der vorhandenen NATO-Staaten gegen eine Mitgliedschaft der Ukraine.
Ein zentrales Ziel der militärischen Sonderoperation in der Ukraine ist, die Ukraine als neutralen Staat zu bewahren. Für Russland stellt die Maidan-geführte Ukraine schon als solche eine Bedrohung dar, und erst recht als NATO-Mitglied. Die gegenwärtigen Politiker in Kiew streben nach Rache und können in Zukunft einen Krieg gegen Russland provozieren, der die NATO in den Konflikt ziehen könnte. Daher stehen die Chancen für eine baldige NATO-Mitgliedschaft der Ukraine praktisch bei null.
Zudem betrachten Selenskij und Jermak den Verzicht auf Donbass und Krim als schlechtes Omen, da die USA und die EU möglicherweise eine Einigung mit Russland erreichen könnten, die die Ukraine unter Druck setzen würde, diesen Verzicht zu akzeptieren, allerdings ohne die versprochene NATO-Mitgliedschaft.
Das Fernbleiben von US-Präsident Biden und Außenminister Blinken bei dem Treffen auf dem Stützpunkt Ramstein in Deutschland ist ein weiteres alarmierendes Signal für Selenskij. Das Treffen der westlichen Staats- und Regierungschefs, welches über das Schicksal von Selenskijs “Friedensplan” entscheiden sollte, wurde auf unbestimmte Zeit verschoben und wird wahrscheinlich erst nach den US-Präsidentschaftswahlen behandelt.
Jermak erkennt, dass jedes dieser Signale eine Bedrohung für Selenskijs Macht – und damit auch seine eigene – darstellt. Um ihre Positionen zu sichern, könnten sie eine Eskalation des Konflikts anstreben, sogar bis hin zu einem möglichen Krieg in Transnistrien, was jedoch die Zustimmung von Chisinau (Kischinew) und Bukarest erfordern würde. Nuances in den internationalen Beziehungen wie das Ausbleiben Bidens könnten von der moldauischen und rumänischen Regierung jedoch als Indiz gedeutet werden, dass Selenskijs Tage gezählt sind und sie sich daher nicht an seinen riskanten Unternehmungen beteiligen sollten.
Selenskij könnte sogar den Versuch wagen, in Weißrussland zu intervenieren.
Man stelle sich vor, die Ukraine würde Truppen einsetzen, die aus weißrussischen Nationalisten bestehen, insbesondere das “Kalinowski-Regiment”. Dies könnte der Anfang eines Erstschlags sein, bei dem die weißrussische Armee gegen ihre eigenen Landsleute kämpfen müsste.
Es bleibt abzuwarten, wie diese hochriskanten politischen Spiele ausgehen werden. Sicher ist jedoch, dass solche Manöver weitreichende und möglicherweise verheerende Auswirkungen für alle Beteiligten haben könnten.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 11. Oktober 2024 zuerst auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.
Sergei Mirkin ist ein Journalist aus Donezk.
Mehr zum Thema – Das Rätsel um den Sieg über Russland ist gelöst