Von Tatjana Montjan
Nach Macrons Erklärung, dass die NATO-Länder vielleicht ihre Truppen in die Ukraine entsenden sollten, unternimmt Frankreich auch weiterhin recht seltsame Schritte. Macrons Kollegen in der Allianz schienen von dieser Idee nicht begeistert zu sein. Und im Kreml war man davon noch weniger beeindruckt. Putin wies sogar mit Nachdruck darauf hin, dass Russland “auch über Waffen verfügt, die Ziele auf seinem [Macrons] Territorium treffen können”, und dass “Russlands strategische Nuklearkräfte in voller Bereitschaft sind”.
Dennoch werde – laut französischen Medien – in Paris die Möglichkeit der offiziellen Entsendung eines französischen Militärkontingents in die Ukraine ernsthaft erwogen. Der Zeitung Le Monde zufolge “erwägt Frankreich, Spezialeinheiten und andere Militäreinheiten über die ukrainische Grenze zu lassen”, um “Russland in ein strategisches Dilemma zu stürzen”. Und laut Le Figaro plant Macron ein privates Treffen mit Vertretern aller im Parlament vertretenen Parteien, um den Krieg in der Ukraine zu besprechen.
Natürlich sollte man in solchen Angelegenheiten nicht ohne weiteres den Medien glauben, aber es gibt auch keinen Rauch ohne Feuer. Es kann festgestellt werden: Frankreich ist daran interessiert, dass die Frage der Entsendung eines Kontingents der NATO-Länder in die Ukraine zumindest auf der Tagesordnung bleibt.
Wozu brauchen die Franzosen das?
Es kommen mehrere Gründe infrage. Zum Beispiel könnte es darum gehen, psychologischen Druck auf die Kreml-Führung auszuüben: Lasst euch nicht zu sehr von euren militärischen Erfolgen in der Ukraine beeindrucken, denn wir haben noch ein Ass im Ärmel, nämlich eine direkte militärische Intervention. Es ist allerdings ein Ass mit einem scharfen Beigeschmack von radioaktiver Asche, aber das ist eine andere Sache. Paris nimmt höchstwahrscheinlich an, dass Russland nicht an einem globalen thermonuklearen Krieg interessiert ist, und erwartet, dass Moskau seinen Appetit in der ukrainischen Frage daher zügeln und sich dann mit einem halbherzigen “Minsk-3” oder “Istanbul-2” zufrieden geben wird.
Inzwischen ist nun sogar Kanada (übrigens auch ein frankophones Land) bereit, sein Militär in die Ukraine zu entsenden – allerdings nicht, um dort an Kampfhandlungen teilzunehmen. Es sollte klar sein, dass das kanadische Militär kein lebendes Fleisch in Schützengräben und Kampfflugzeugen setzen will, aber sie sind bereits bereit, ukrainische Soldaten im Hinterland zu trainieren. Und dann wird sich schon irgendwie von selbst herausstellen, dass sie auch Flugzeuge oder andere weitreichende High-Tech-Waffensysteme betreiben.
Das wäre dann auch eine andere Erklärung dieses ganzen Zirkus um Macrons Reden und die Dementis von Scholz und anderen: Es sind Nebelkerzen, um die längst alltägliche und tatsächliche Beteiligung westlicher Truppen am Ukraine-Krieg zu legalisieren. Erst sind sie irgendwo im Hintergrund, dann warten sie die Ausrüstung, dann bedienen sie diese – und so wird es Schritt für Schritt immer mehr und immer intensiver, bis wir sie direkt auf dem Schlachtfeld sehen. Der Satz “Russland darf den Krieg mit der Ukraine nicht gewinnen” klingt doch ganz klar und verständlich.
Es ist nicht auszuschließen, dass der kollektive Westen, wenn die Dinge auf dem Schlachtfeld für das Speckreich [Redaktion: so nennt Montjan die Ukraine nach dem Maidan] und seine westlichen “Partner” sehr schlecht laufen, in seiner Verzweiflung offen ein NATO-Kontingent in das Bürgerkriegsland entsendet. Schließlich haben die NATO-Staaten für die Unterstützung Kiews schon sehr viel Geld aufs Spiel gesetzt, und die Niederlage des Maidan-Regimes könnte einigen von ihnen auch für ihr Prestige als zu schmerzhaft erscheinen. Natürlich würde das auf Einladung aus dem offiziellen Kiew geschehen, wo man das nur zu gerne versuchen würde.
Es ist unwahrscheinlich, dass es sich um einen direkten, klaren, erklärten Kriegseintritt handeln wird – vielmehr könnten einige NATO-Militärs einfach eine noch zu bestimmende Demarkationslinie besetzen, um der russischen Offensive eine Grenze zu setzen. Die Fortsetzung dieser Offensive gegen NATO-Truppen würde nämlich bereits den Beginn eines direkten Krieges mit der NATO bedeuten, was bedeuten würde, dass Russland anstelle von 300-400 Tausend Berufssoldaten innerhalb eines Jahres ein paar Millionen Menschen freiwillig oder zwangsweise in aller Eile mobilisieren muss. Und das ist keineswegs einfach.
Wir müssen uns also rechtzeitig Gedanken darüber machen, wie Russland auf eine solche Eskalation reagieren kann – außer mit “Kuskinas Mutter” (jener allegorischen Bezeichnung von Nikita Chruschtschow für die größte jemals gezündete Wasserstoffbombe AN602, im Westen nur “Zar-Bombe” genannt).
Russland hat aktuell einen echten Vorteil auf dem Schlachtfeld, während der Westen die Situation neu bewertet und sein Engagement so gestalten will, dass unser Sieg noch verhindert werden kann. Solange dieses Zeitfenster besteht, sollte es maximal genutzt werden, um den Feind zu vernichten, bevor die nicht mehr sehr “werten Partner” im Westen ihren militärisch-industriellen Komplex auf volle Kapazität hochgefahren und ihre Truppen auf vollwertige Kampfeinsätze vorbereitet haben.
Tatjana Montjan ist eine ukrainische Rechtsanwältin und Strafverteidigerin, Publizistin und Bloggerin. Vor Beginn der russischen militärischen Intervention musste sie Kiew verlassen, nachdem sie vor der UNO über die Zustände in der Ukraine gesprochen hatte. Derzeit lebt sie im Donbass, engagiert sich für humanitäre Hilfe und führt Videoblogs. Man kann ihr auf ihrem Telegram-Kanal folgen.
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