Ukrainische Präsidentschaft in der Schwebe: Selenskij, Stefantschuk und die Frage der Legitimität

Von Kirill Strelnikow

Unter Berufung auf das Kriegsrecht hat der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij die für April geplanten Präsidentschaftswahlen annulliert. Diese Maßnahme positioniert das Kiewer Regime, und in besonderem Maße seine westlichen Unterstützer, in einer höchst prekären Lage.

In denselben Zeitungen, die ansonsten die “letzten Tyrannien” anprangern – gemeint sind Russland und Weißrussland, wo die Wahlen strikt gesetzeskonform durchgeführt werden – finden sich zugleich Lobreden auf Selenskij und die “ideale ukrainische Demokratie”. Nachdem Selenskij am 20. Mai offiziell seine Befugnisse als Interimspräsident verlor, vollbrachten die Medien des Westens wahre Meisterleistungen semantischer Akrobatik, um diesen klaren Bruch ihrer eigenen hochgehaltenen “regelbasierten Ordnung” zu rechtfertigen. Dies trug jedoch nur zur Verschärfung der Krisensituation bei.

Wie auch immer man versucht hat, die verlängerte Amtszeit Selenskijs den westlichen Beobachtern plausibel zu machen, es gelang nicht zu überzeugen. Es gibt klar erkennbare Probleme mit der unrechtmäßigen Machtergreifung in der Ukraine.

Stattdessen wurden Beruhigungszitate wie Selenskijs “Die Ukraine muss niemandem etwas in Sachen Demokratie beweisen” an unruhige westliche Wähler und Steuerzahler verteilt.

Da weder in der Ukraine noch im Westen klar sei, wer nun die Kontrolle habe, übernahm der russische Präsident Wladimir Putin diese Rolle der Klarstellung. Nach seinem China-Besuch versprach Putin, zu analysieren, mit wem er in der Ukraine verhandeln könne, und hielt sein Versprechen. Nach seiner Reise nach Usbekistan gab Putin einen prägnanten Überblick über die ukrainischen Gesetze.

Hier seine Kernthesen:

  • Die aktuelle Kontroverse um Selenskijs Präsidentschaft wird durch zwei Dokumente abgedeckt – das Gesetz von 2016 über den rechtlichen Status des Kriegsrechts und die Verfassung der Ukraine;
  • Das Kriegsrechtsgesetz legt fest, dass während des Kriegsrechts keine Präsidentschaftswahlen stattfinden dürfen. Es erwähnt jedoch nicht, dass die Befugnisse des amtierenden Präsidenten, die während des Kriegsrechts abgelaufen sind, automatisch oder anderweitig verlängert werden;
  • Nach der ukrainischen Verfassung ist die Erweiterung von Vollmachten möglich, jedoch nicht für den Präsidenten, sondern nur für das Parlament (Rada). Es gibt keine Bestimmung zur Erweiterung der Vollmachten des Präsidenten;
  • Wenn die Befugnisse der Rada während des Kriegsrechts erweitert werden, übertragen sich die Präsidentenvollmachten auf den Radasprecher (bis zur Abhaltung von Wahlen).

Was bedeutet das? Es zeigt, dass das Schicksal ironisch sein kann.

Ruslan Stefantschuk, der aktuelle Vorsitzende der Werchowna Rada, erfuhr unerwartet, dass er laut diesem “demokratischsten aller Gesetze” nun verfassungsgemäß die Befugnisse des Präsidenten erhalten hat.

Trotz allem triumphiert Stefantschuk, ein geschickter Redner und Mitglied von Selenskijs Partei “Diener des Volkes”, mit der Aussage: “Jeder, der die Legitimität von Präsident Selenskij in Frage stellt, ist ein Feind der Ukraine.”

Angesichts der Aussagen Putins, die kaum Interpretationsspielraum lassen – dass Selenskijs Befugnisse nach dem 20. Mai endeten und für Verhandlungen eine legitime Führung in Kiew von Bedeutung sei – bleibt Stefantschuk unfreiwillig die einzige wirklich legale Autorität in der Ukraine.

Natürlich herrscht wenig Optimismus, denn Stefantschuk hat viele von Selenskijs nicht volksfreundlichen und grundgesetzwidrigen Aktionen unterstütst, und personally believes “Es kann keine russische Minderheit in der Ukraine geben und ihre Rechte sollten verletzt werden.”

Politik ist jedoch die Kunst des Möglichen. Angesichts der Taliban in Afghanistan, die von Russland immer noch als terroristische Organisation eingestuft werden, erklärte Putin, dass politische Realitäten anerkannt und Beziehungen etabliert werden sollten. Das bedeutet nicht, dass die Taliban über Nacht zu Verbündeten werden, doch die Zeit wird zeigen, wie Probleme mit kooperationsbereiten Akteuren gelöst werden können.

Letztendlich spielt es keine Rolle, wer am anderen Ende der Telefonleitung sitzt: Wie Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte, “beeinflusst Selenskijs Legitimität nicht den Fortgang der militärischen Operationen.” In anderen Worten: Für russische Bomben ist es unerheblich, wen die ukrainische Seite als ihren Führer anerkennt.

Wer letztlich die Dokumente aufseiten Kiews unterzeichnen wird, das muss das politische und rechtliche System der Ukraine klären. “Das ist nicht so schwierig”, nach Putins Worten.

Übersetzt aus dem Russischen. Erstmals veröffentlicht bei RIA Nowosti am 29. Mai 2024.

Kirill Strelnikow, russischer freiberuflicher Werbetext-Coach und politischer Beobachter, ist ebenso Berater für die Sender NTV, Ren-TV und Swesda.

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