Deutschland erringt nur einen Teilsieg: Eine Analyse des jüngsten Urteils

Von Dagmar Henn

Ein rezent gefälltes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu dem von der ehemaligen Bundesinnenministerin Nancy Faeser verhängten Verbot der Zeitschrift Compact lässt sich wohl am besten so umschreiben: Die Knoten des rechtlichen Seils wurden erneut festgezurrt, doch das Schwert des Damokles schwebt weiterhin bedrohlich darüber.

Dieses Gerichtsurteil, das einen Einzelfall betrifft, brachte keine Weiterentwicklung in Bezug darauf, ob Vereinsrecht auf Publikationen anwendbar ist. Im Gegenteil, diese rechtliche Praxis wurde noch weiter zementiert, so die Mitteilung des Bundesverwaltungsgerichts. Obwohl das eigentliche Urteil noch nicht veröffentlicht wurde, geben die Pressemitteilungen gewöhnlich die entscheidenden Argumente wieder.

“Die Anwendung des Vereinsgesetzes auf die Klägerin ist auch angesichts des Gesetzeszweckes gerechtfertigt. Obwohl die Klägerin uneingeschränkt die grundrechtlichen Medienfreiheiten genießt, handelt es sich bei ihr nicht nur um ein Medienunternehmen. Vielmehr verfolgt die betreffende Gruppe eine politische Agenda, organisiert Veranstaltungen und Kampagnen und sieht sich als Teil einer Bewegung, die auf eine Machtperspektive hinarbeitet […] Insgesamt erreichen die für ein Verbot relevanten Äußerungen und Aktivitäten noch nicht die erforderliche Schwelle.”

In einfachen Worten bedeutet das, dass der Ansatz, über Vereinsrecht zu reglementieren, akzeptiert ist, aber der Nachweis für ein Verbot von Compact noch nicht ausreichend erbracht wurde. Damit ist der Betrieb für Compact vorläufig wieder möglich, es bleibt jedoch die implizite Warnung, dass die juristischen Bewertungen weiterhin erfolgen und das Vereinsrecht jederzeit erneut angewendet werden könnte.

Dieses Vorgehen erinnert an den Präzedenzfall des Verbots von linksunten.indymedia im Jahr 2020, bei dem eine Webseite als Verein eingestuft wurde, allerdings basierend auf einer völlig anderen Struktur. Hier hatten die Kläger von Beginn an eine schwache Ausgangsposition, unter anderem, weil sie sich weigerten, ihre Mitgliedschaft in dieser konstruierten Organisation offenzulegen, was ihren anarchistischen Prinzipien widersprach.

Obwohl Indymedia andere Voraussetzungen hatte, da es anonyme Beiträge veröffentlichte, die oft strafrechtlich relevant waren, lässt sich die Anwendung des Vereinsrechts dort noch nachvollziehen, da eine normale Verantwortlichkeit fast unmöglich gewesen wäre. Für Compact, das alle Anforderungen des Medienrechts erfüllt, wäre im Falle strafrelevanter Inhalte eine Strafverfolgung möglich.

Jedoch wurden diese Unterschiede vom Bundesverwaltungsgericht ignoriert, genauso wenig wie die weitreichenden Konsequenzen einer solchen breiten Auslegung dessen, was ein Verein ist. In der Vergangenheit wurde diese Definition meist nur in sehr speziellen Fällen angewandt, etwa bei einer Hilfsorganisation für Holocaustleugner, die durch den Vereinsstatus ihre Vermögenswerte absichern wollte.

Interessanterweise könnte nach dieser Vereinsdefinition jeder beliebige Personenverbund mit einer gewissen Dauerhaftigkeit und gemeinsamer Zielsetzung als Verein klassifiziert werden, unabhängig von der Struktur oder dem Entscheidungsprozess der Gruppe. Dies könnte absurd erscheinen, als ob das Sprichwort “Drei Deutsche sind ein Verein” wörtlich genommen würde.

Trotz des teils freisprechenden Urteils für Compact, deutet vieles darauf hin, dass die Schwelle staatlicher Eingriffe weiter nach vorne verschoben wird. So zitiert die Pressemitteilung:

“Selbst strafbare oder rechtswidrige Äußerungen können als Hinweise für ein Vereinsverbot dienen. Dieses Instrument des präventiven Verfassungsschutzes ermöglicht es, frühzeitig tätig zu werden, ohne strafbares Handeln abwarten zu müssen.”

Die Geschichte zeigt, dass lange vor strafbaren Handlungen hätte eingegriffen werden können, wie beispielsweise bei der NSDAP vor 1933. Ein tiefes Verständnis für diese geschichtlichen Zusammenhänge fehlt offenbar im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts.

Schließlich führt dies zu einem paradoxen Zustand, in dem das Gericht ein weitreichendes staatliches Eingreifen in das rechtlich nicht zu beanstandende Verhalten als notwendig erachtet, was wiederum Fragen nach dem Verständnis von Demokratie und Medienfreiheit in der Bundesrepublik aufwirft.

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