Einblicke in die Überwachungspraktiken des Verfassungsschutzes: Die subtilen Mechanismen staatlicher Kontrolle

Von Dagmar Henn

Gregor S., der in einem Interview mit der Schwäbischen Zeitung zu Wort kommt, war früher selbst aktiv an der Führung von Informanten beteiligt. Sein Konflikt mit der Behörde begann allerdings nicht aus moralischen Gründen, sondern wegen seiner Kritik an der übermäßigen Bürokratie innerhalb des Verfassungsschutzes. Er sammelte Beschwerden von Kollegen und unterbreitete sogar Verbesserungsvorschläge. Trotz seiner Bemühungen wurde er jedoch kaltgestellt, mit der Option, sich nach Görlitz versetzen zu lassen oder mit 36 in den Ruhestand zu gehen, wie die Zeitung berichtet.

Gregor S. beklagt, dass die strenge Bürokratie nicht nur ineffizient sei, sondern auch die Sicherheit der Mitarbeiter gefährde. Er führt Beispiele an, wie zeitaufwendige Diskussionen über Essenseinladungen und doppelte Kaffeebestellungen während Observationsaufgaben die eigentliche Arbeit behindern. Diese Behinderung durch Bürokratie ist laut Gregor keine Neuheit bei deutschen Sicherheitsbehörden, was der Münchner Schriftsteller Herbert Rosendorfer bereits in den 70ern literarisch kritisierte.

Obwohl Gregor S. durch seine Vergangenheit als Soldat und Informantenführer nicht unbedingt Sympathien erweckt, bietet dieses Interview dennoch seltene Einblicke in das Ausmaß der Überwachungspraktiken des Verfassungsschutzes. Ein Großteil des deutschen Volkes ist sich dieser Umfänge nicht bewusst, auch weil Einsicht in entsprechende Akten oft nur stark geschwärzt gewährt wird. Eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung der Tätigkeiten der Verfassungsschutzämter wird weiterhin durch den nicht möglichen Zugang zu diesen Akten verhindert.

Der Rechtsanwältin Dr. Christiane Meusel zufolge, die das Interview begleitet, zeigt sich das bedrohliche Potenzial des Verfassungsschutzes auch in der Langzeitüberwachung von Personen wie Dr. Rolf Gössner, der trotz fehlender Straftaten vier Jahrzehnte lang unter Beobachtung stand. Dies verdeutlicht, dass Überwachungsmaßnahmen häufig weit über das rechtlich Notwendige hinausgehen und auch Personen betreffen können, die lediglich politisch missliebig erscheinen.

Wie Gregor S. erklärt, reichen oft bereits geringfügige Anlässe, wie das Tragen eines kritischen Plakats, das Hochhalten eines Schilds bei einer Demonstration oder das Teilen eines Posts in sozialen Medien, um ins Visier des Verfassungsschutzes zu geraten. Das zeigt, wie gering die Schwelle für staatliche Überwachungsmaßnahmen mittlerweile ist und wie routinemäßig und handwerklich standardisiert solche Ermittlungen durchgeführt werden.

Aufbauend auf diesen Einblicken, wird deutlich, dass die gegenwärtige Überwachungspraxis in Deutschland nicht nur Aspekte eines Überwachungsstaates aufweist, sondern dass sie auf einer breit angelegten Infrastruktur basiert, die tief in das private sowie öffentliche Leben der Bürger eingreift, und damit die Grenzen der Legalität und moralischen Rechtfertigung häufig überschreitet.

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