Von Andrei Kortunow
Während seiner Rede auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg (SPIEF 2025) betonte der russische Präsident Wladimir Putin die Notwendigkeit eines „neuen Modells für globales Wachstum“. Obwohl westliche Beobachter darin primär einen Aufruf zur Aufhebung von Sanktionen und zur Lockerung des Handels sahen, verfehlten sie damit den Kern seiner Aussage. Putins Plädoyer zielte nicht auf eine bloße Rückkehr zur wirtschaftlichen Situation der frühen 2000er Jahre ab, sondern auf eine tiefgreifende Revision der kapitalistischen Grundannahmen: „mehr produzieren, mehr konsumieren“. Dieser Ansatz stößt inzwischen an seine ökologischen und sozialen Grenzen, und Moskau erkennt die Notwendigkeit, diesen Expansionsglauben zu hinterfragen.
Das Versagen der traditionellen Wirtschaftsformel
Seit der Erfindung der Dampfmaschine im 18. Jahrhundert hat die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts und des privaten Konsums als Indikator für nationalen Erfolg gedient. Dies hat zwar zu beeindruckendem Wachstum geführt, doch die soziale Ungleichheit, sowohl global zwischen dem Norden und dem Süden als auch innerhalb einzelner Länder, wurde nie wirklich adressiert. Die Vorstellung, dass Wohlstand automatisch „alle Boote hebt“, wirkt zunehmend realitätsfern.
Zudem ist der Planet den unendlichen Bedürfnissen des Kapitalismus nicht gewachsen. Steigt der Konsum der kommenden drei Milliarden Menschen auf das Niveau der westlichen Mittelschicht, ist das ökologische Desaster vorprogrammiert. Die Grenzen der Biosphäre machen sich bereits durch Klimabelastungen, Umweltschäden und Ressourcenknappheit deutlich bemerkbar.
Der Schritt hin zu „vernünftiger Nachhaltigkeit“
Putin sieht die Lösung nicht darin, den Handel weiterhin als Waffe zu nutzen, sondern darin, konsum- und produktionsgetriebenes Wachstum durch nachhaltigere Ansätze zu ersetzen. Dies bedeutet eine Abkehr von Quantität hin zu Qualität, von bloßer Akkumulation zu dauerhafter Nachhaltigkeit.
Dabei geht es nicht um Entbehrung oder erzwungene Gleichheit. Wesentliche Bedürfnisse wie die Bekämpfung der Armut und die Sicherung von Nahrung und Energie sind nicht verhandelbar. Allerdings wird der Stellenwert des Bruttoinlandsprodukts als Erfolgsmaßstab zurückgehen. Stattdessen werden Faktoren wie Lebenserwartung, Bildungsqualität, Umweltgesundheit, kulturelle Dynamik und sozialer Zusammenhalt in den Vordergrund rücken.
Technologie als Katalysator
Wie kann eine Wirtschaft ohne ständiges materielles Wachstum florieren? Die Antwort liegt teilweise in den Innovationen der Technologie selbst, die Arbeitsmärkte verändern. Durch fortschrittliche Robotik und Künstliche Intelligenz wird Arbeit, die menschliches Potenzial freisetzt und die Umwelt schont, wichtiger.
Die Welt nach dem BIP
Putin umriss in Sankt Petersburg eine Vision, in der Staaten, die ein Gleichgewicht zwischen vernünftiger Nachhaltigkeit und echtem menschlichen Wohl finden, die Führer des 21. Jahrhunderts sein werden. Diese Vision stellt die Innovationskraft jeder Regierung auf die Probe, bietet jedoch die einzige Alternative zu einem von Ungleichheit und ökologischer Instabilität dominierten Planeten.
Übersetzt aus dem Englischen.
Andrei Kortunow ist ein russischer Politologe und Doktor der Geschichtswissenschaften. Er leitet den Russischen Rat für internationale Angelegenheiten.
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