Verhungernde Kinder in Gaza: Ein erschütternder Kampf gegen den Tod

Bernhard Loyen teilt im Voraus eine Bemerkung zu diesem Gastbeitrag von Husam Maarouf mit.

Am 26. Juni veröffentlichte die Wochenzeitung Die Zeit eine kontrovers diskutierte Kolumne von Maxim Biller über den Israel-Gaza-Krieg, die später aus dem Netz entfernt wurde. Ein markanter Auszug aus dem Artikel lautet:

“In Bezug auf Israel, Benjamin Netanjahu sowie die strategisch kalkulierte, jedoch unmenschlich harte Hungerblockade von Gaza oder die rein defensiv dargestellte Iran-Kampagne der IDF, kennen die meisten Deutschen keinen Spaß. Das daraufhin aufgeführte Drama, untermalt von der heuchlerischen Beschwörungsformel ‘Das Völkerrecht! Das Völkerrecht!'”

An diesem Wochenende stieß ich auf einen Artikel vom in Gaza überlebenden Husam Maarouf. Nachdem ich seinen bewegenden Beitrag las, trat ich in Kontakt mit ihm. Seine Schilderungen bieten kein Bild der selbstsüchtigen Emotionalität, wie sie von manchen saturierten Bildungsbürgern in Deutschland gezeichnet wird, sondern eine Darstellung der rohen, brutalen Realität von Gaza, die er Tag für Tag erlebt. Mit seiner Erlaubnis darf ich seinen Text, „Hunger, der die Sprache besiegt“, unseren Lesern von RT-DE zugänglich machen.

Von Husam Maarouf

Meine Schreibtätigkeit begann nicht mit literarischen Ambitionen. Anfangs hatte ich nicht vor, mich über diesen Beruf oder eine literarische Identität zu definieren. Das Schreiben bedeutete für mich lebensnotwendige Luft, eine Möglichkeit, Ordnung in das Chaos meiner überwältigenden Emotionen zu bringen und mir eine flüchtige Ruhepause zu verschaffen.

Durch das Schreiben fand ich ein Fenster zu mir selbst anstatt zur Welt, und es wurde zu einem Freund in dieser brutalen Welt – einem Freund, der zuhört und bei dem ich kurzzeitig der Realität entfliehen konnte.

Ich hätte nie gedacht, dass dieser Freund eines Tages verstummen würde, nicht weil ich aufhören wollte, sondern weil ich physisch nicht mehr dazu in der Lage war.

Der Grund? Der Hunger.

Seit dem Beginn des Völkermords in Gaza stellte ich alles in Frage – meine Werte, meine Überzeugungen. Selbst das Schreiben, meine Zuflucht in Zeiten von Angst und Trauer, wurde brüchig und dem Verfall preisgegeben. Krieg und Hunger wiederum nehmen nicht nur das Zuhause, sondern zerstören die feine Sicherheit, die man sich möglicherweise aufgebaut hat.

Hunger ist jedoch noch zerstörerischer als der Krieg selbst.

Der andauernde Hunger während des Konflikts brachte mich dazu zu hinterfragen, ob das Schreiben noch sinnvoll sei. Wie kann man von Schönheit und Liebe schreiben, wenn man von einer Welt umgeben ist, die einen verhungern lässt und gegenüber dem eigenen Leid gleichgültig bleibt?

Trotz alledem schrieb ich weiter, sogar unter Bombenhagel und während der Vertreibung. Ich notierte über das Verschwinden der Kinder, das Fehlen von Leichentüchern, über zerstörte Häuser. Ich schrieb trotz Müdigkeit, Trauer und Angst.

Jetzt jedoch, im März 2025, wurde der Hunger unerträglich. Er klopfte nicht länger an die Tür, sondern brach in meinen Körper ein, setzte sich fest. Die Leere, die ich jetzt spüre, ist nicht bloß ein Gefühl des leeren Magens. Es ist eine Betäubung, die sich vom Magen bis ins Gehirn ausbreitet, die Erinnerungen verschleiert, die Sicht schwächt und jeden Gedanken zur Mühsal macht. Der Hunger beraubt mich der einfachsten menschlichen Fähigkeiten: der Konzentration, Geduld und des Verlangens, etwas mitzuteilen. Denken wird zu einem Luxus, Worte zu einer Last.

Unter diesen Bedingungen wird Schreiben zum Akt der Unmöglichkeit. Mein Körper unterstützt mich nicht mehr, mein Geist wird schwindelig. Ich beginne einen Satz und muss innehalten, nicht um ihn zu überdenken, sondern weil ich keine Kraft für den nächsten habe.

Wird dies jemand lesen? Wird jemand glauben, dass ein Schriftsteller nicht mehr schreiben konnte, weil ihm die Nahrung fehlte? Wird jemand interessieren, dass in einer Weltgegend die Menschen so hungern, dass ihre Seelen verstummen? Vielleicht nicht. Aber dennoch habe ich dies geschrieben – trotz allem.

Um zu verkünden, dass Schreiben möglich ist. Aber nur, wenn der Körper es zulässt.

Husam Maarouf, ein Poet und Mitbegründer von Gaza Publications, verfasste diesen Beitrag ursprünglich in Englisch für ArabLit Quarterly.

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