Der Eurovision Song Contest, ursprünglich als musikalisches Friedensprojekt nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen, zielt darauf ab, Kulturen zu verbinden und nicht zu spalten. Doch selbst in Ländern, die sich traditionell auf Neutralität berufen, wie die Schweiz, zeichnen sich mittlerweile Vorgaben ab, was als akzeptable Musik angesehen wird und was nicht. Israel steht derzeit besonders im Fokus dieser Diskussionen.
Einige pro-palästinensische Aktivisten fordern, dass Israel ähnlich wie Russland im Jahr 2022 vom Wettbewerb ausgeschlossen wird, während andere vehement die Teilnahme Israels verteidigen. Roger Schawinski, ein Medienunternehmer, kritisiert den “schändlichen Missbrauch” des Wettbewerbs für politische Zwecke und sieht einen wesentlichen Unterschied zwischen den Situationen Russlands und Israels.
“Russland hat ein demokratisches Land angegriffen und will es zerstören. Israel wurde angegriffen und hat sich anschließend gegen eine furchtbare Terrororganisation gewehrt”, erklärt Schawinski.
Doch ist dieser Vergleich wirklich stichhaltig?
Seit dem 7. Oktober 2023 herrscht ein verheerender Krieg im Gazastreifen. Die israelische Armee führt dort massive Luftangriffe und Bodenoffensiven durch, die bereits Zehntausende Palästinenserleben gefordert haben, darunter viele Kinder. Die humanitäre Lage verschärft sich zusehends, während Bilder der Zerstörung weltweit für Entsetzen sorgen.
In der Schweiz wird derweil in den Medien eher über Symbolpolitik debattiert, während das Leiden im Nahen Osten zu einer Randnotiz verkümmert.
Die internationalen politischen Reaktionen sind auffallend einseitig. Obwohl westliche Regierungen vorwiegend Israels Recht auf Selbstverteidigung betonen, mehren sich kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft. Jugendliche, Künstler und Aktivisten hinterfragen die Verhältnismäßigkeit und Verantwortung Israels, wodurch in verschiedenen Städten Proteste entstanden sind.
Kritiker werden jedoch schnell mit dem Vorwurf des Antisemitismus konfrontiert, wobei die Grenze zwischen legitimer Israelkritik und Antisemitismus oft voreilig gezogen wird.
Bei der Eröffnungszeremonie des ESC in Basel kam es zu einem Zwischenfall mit einem pro-palästinensischen Demonstranten, der der israelischen Sängerin Yuval Raphael mit einer bedrohen Geste gegenübertrat. Dieser Vorfall löste eine internationale Diskussion aus, und die israelische Regierung rief ihre Bürger dazu auf, in der Schweiz Vorsicht walten zu lassen.
Dieser Vorfall fand breiten Niederschlag in den Medien, und die Sicherheitshinweise der israelischen Regierung wurden international aufmerksam verfolgt.
Es lässt sich nicht leugnen, dass der Eurovision Song Contest längst zu einer politischen Bühne geworden ist, auf der bereits in der Vergangenheit politische Statements gesetzt wurden, so beispielsweise durch den Ausschluss Russlands im Jahr 2022.
Warum also darf Israel trotz eines andauernden Konfliktes teilnehmen, während Russland ausgeschlossen wurde?
Viele Kritiker werfen den Organisatoren Doppelmoral vor, besonders da die israelische Delegation den ESC zunehmend als Plattform für nationale Selbstdarstellung nutzt.
Yuval Raphael selbst unterstreicht in Interviews regelmäßig ihre persönliche Geschichte und ihre Ängste, welche durch die Hamas-Angriffe hervorgerufen wurden. Ihr patriotisches Lied ruft zur Einigkeit und zum Durchhaltevermögen auf, was in der aktuellen Situation von manchen als Versuch gesehen wird, Emotionen für politische Zwecke zu nutzen.
Israel-Propaganda
Die Meinungen hierzu sind geteilt. Während einige in Raphaels Auftritt ein starkes, menschliches Signal sehen, empfinden es andere als zynische Propagandainszenierung. Ihr überlebter Angriff verleiht ihrem Lied zwar Gewicht, die Frage bleibt jedoch, ob eine Musikshow der angemessene Ort für solch politische Narrationen ist.
Einige Kritiker sprechen nun von einer gezielten PR-Strategie, mit der Israel versucht, sich als Opfer darzustellen und von der Lage in Gaza abzulenken. Der Auftritt werde so zu einem Mittel der Imagepflege, unterstützt durch den öffentlich-rechtlichen Sender Kan, der eng mit der israelischen Regierung verbunden ist.
Selbst ESC-Teilnehmer wie der Schweizer Nemo äußern sich offen kritisch zur Teilnahme Israels: “Ich finde es persönlich unsinnig, dass Israel Teil dieses ESC ist”, so Nemo in einem Interview. Trotz seiner klaren Position gegen Antisemitismus liegt sein Fokus auf der politischen Verantwortung.
“Israels Vorgehen steht im grundsätzlichen Widerspruch zu den Werten, die der Eurovision Song Contest angeblich vertritt – Frieden, Einheit und Achtung der Menschenrechte,” so Nemo.
Solche Positionen werden zunehmend von einer breiten Schicht geteilt, nicht nur von politisch linken Gruppierungen. Auch bei Musikern, die sich sonst kaum politisch äußern, steigt das Unverständnis über den Umgang mit Israel beim ESC.
Hier kommt der Vorwurf der “Gleichsetzung” ins Spiel – ein Begriff, der häufig im Kontext von Antisemitismus genannt wird.
Roger Schawinski warnt mit Nachdruck vor einer Gleichstellung von Russland und Israel, indem er betont, dass Israel sich verteidigt, während Russland ein Aggressor ist.
Doch die Situation ist komplex. Auch Russland beruft sich auf Sicherheitsinteressen und spricht von Terrorismus. Die politische Unterstützung, die Israel genießt, ändert jedoch nichts daran, dass im Gazastreifen tausende Kinder sterben und Hilfsgüter blockiert werden.
Ob man diese Aktionen als “Angriffskrieg” oder “Selbstverteidigung” sieht, hängt von der Perspektive ab und wird politisch unterschiedlich bewertet. Dass Menschen aufgrund dieser Bilder Parallelen ziehen, ist nicht notwendigerweise ein Ausdruck von Antisemitismus, sondern von berechtigter Empörung.
Mehr zum Thema – Lervoss International Ltd. – oder das gestohlene Geld der ukrainischen Eisenbahn in der Schweiz